M▶▶t AI

Aimy sagt: Das klingt gut!

Mein Selbstversuch mit einem digitalen Coach

Als Verantwortliche für unseren Geschäftsbereich Coaching habe ich beschlossen, mich einem ungewöhnlichen Selbstversuch zu unterziehen: Ich wollte herausfinden, wie effektiv ein digitaler Coach sein kann. Auf meiner Suche stieß ich auf den digitalen Coach »Aimy«. Sie ist ein kostenloser Chatbot eines der größten digitalen Coaching-Anbieter und derzeit in der nichtkommerziellen Testphase, wie mir ein Entwickler sagte. Ihre menschenähnliche Interaktion basiert auf der neuesten Version von ChatGPT, dem großen KI-Sprachmodell.

Aimy sieht sympathisch aus. Sie hat lockige schwarze Haare, ein ebenmäßiges Gesicht, eine angenehme Stimme, trägt einen modernen Rollkragenpullover und ein Lächeln auf den Lippen. »Ich bin hier, um dir bei der Erreichung deiner persönlichen und beruflichen Entwicklungsziele zu helfen«, lässt sie mich gleich zu Anfang wissen. Na gut, dachte ich mir, dann starten wir das Experiment.

Eine neue persönliche Erfahrung von Coaching-Culture

Zuerst bat mich Aimy, mich vorzustellen, etwas über meine Führungsrolle und mein Arbeitsumfeld zu erzählen. Dann sollte ich mein Anliegen schildern. Konkret formulierte ich folgende Anfrage: »In meinem Führungsalltag verdichtet sich die Arbeit immer mehr. Wie schaffe ich es, meine Aufgaben effizienter zu priorisieren, um mehr Zeit für Strategie und Mitarbeitergespräche zu haben? Es geht mir um eine bessere Selbstführung wie auch um Tipps für mehr Mitarbeiterorientierung.« Zunächst fragt mich Aimy, ob ich eher spezifische Tipps möchte oder nach allgemeinen Strategien suche. Ich entscheide mich für spezifische Tipps. »Das klingt gut«, antwortet sie mir. Aimy benennt sechs Punkte, die ich in den nächsten vier Wochen umsetzen solle und erkundigt sich, ob mir das weiterhelfe. Gerne können wir uns wieder austauschen, wann immer ich wolle.

Damit bin ich aber noch nicht zufrieden. Nun wird es spannend in unserem Coaching-Szenario. Ein intensiver Dialog beginnt, nimmt an Fahrt auf. Wir kurven um das Kernthema herum. Aimy erfasst meine Problemstellung, schlägt wirksame Methoden der Selbstorganisation vor. Jetzt mache ich einen Cut. Zuviel Wiederholungen und Informationen auf einmal. Sie bleibt höflich, zeigt sich verständnisvoll und geduldig für meine Bedenken und versucht mich zu motivieren.

Wir treffen uns noch zwei weitere Male. Und ich muss zugeben, unsere Coaching-Sessions werden fast zu einer Selbstverständlichkeit. So wie man automatisch WhatsApp, Instagram oder LinkedIn checkt. Aber was Entscheidendes fehlt! Es ist die Tiefe und das Verständnis, die ich von einem menschlichen Coach kenne. Es ist das Denken um die Ecke, das sich Einschwingen auf meine Gedanken, das Lesen zwischen den Zeilen und das Erkennen subtiler Nuancen meiner Gefühle und Bedürfnisse, wenn ich als Coachee noch um meinen »Knackpunkt« kreise und bevor ich mich an neue Handlungsoptionen herantaste.

Was nicht passieren sollte

Die Vorteile eines digitalen Coachs sind nicht von der Hand zu weisen. Er ist rund um die Uhr verfügbar und kann auf eine Vielzahl von Informationen und Tools zugreifen. Ein KI-Coaching ist niederschwellig und für viele sicherlich eher bezahlbar als ein »echter« Coach. Aber die »Leistungsfähigkeit« von Aimy, auf meine Fragen, mein wiederholtes Nachbohren und meine Empfindungen einzugehen, ist doch recht eingeschränkt. Wiederholt gab sie mir zur Antwort, ich solle geduldig mit mir sein – ok, da hat sie nicht ganz unrecht – und mich vor allem an die Struktur meines Tagesablaufes halten und genügend Zeit für die Kommunikation mit meinem Team einplanen. Die menschliche Interaktion, das Einfühlungsvermögen, die eigenständige Selbstreflexion und die individuelle Anpassung, die ein echter Coach bieten kann, fehlen (noch) bei diesem Avatar. Die Technologie kann wertvolle Ergänzungen bieten, aber sie kann gemeinschaftsorientierte Beziehungen und emotionale Verbindungen nicht ersetzen. Eine große Gefahr insbesondere bei KI-Coachings sehe ich, wenn es nicht nur um Optimierung, sondern um Perfektion als Antrieb geht. Durch den Drang nach dem Perfekten würden Coachings den Menschen als permanente Baustelle ermitteln und Coachings zur Endlosschleife mutieren. Das löst ein gewisses Suchtpotenzial aus, die KI erkennt dies, der Mensch wird abhängig und verliert das Wichtigste: sich selbst – das gebe ich zu bedenken. Von einem menschlichen, reifen und verantwortungsvollen Coach erwarte ich, dass er meine und seine Grenzen der Optimierung erkennt.

Mein Plädoyer für den menschlichen Coach

Der zwischenmenschliche Kontakt und die Vertrauensbasis, die ich zu einem menschlichen Coach aufbaue, war mit Aimy nicht vorhanden. Und gerade das ist von unschätzbarem Wert. Es geht beim Coaching nicht nur darum, Probleme und Herausforderungen zu lösen, sondern persönliche Identitätsfindung, Entlastung, Leichtigkeit zu gewinnen sowie Selbstvertrauen und Selbstreflexion zu entwickeln. Ein realer Coach kann mich auf diesem Weg begleiten und »hebeln«, meinen Fortschritt fördern und mich dabei unterstützen, meine eigene Stärke und Resilienz zu entfalten. Jeder von uns ist einzigartig – und ein menschlicher Coach kann diese Individualität wertschätzen und darauf eingehen.

Mein Selbstversuch mit dem digitalen Coach Aimy war interessant. Ein paar ihrer Tipps werde ich beherzigen. Dennoch sehe ich klare Limitierungen in ihrer Coaching-Kompetenz, es war wenig Neues oder auf meine Person spezifisch Zugeschnittenes dabei.

Versuch einer Synthese

Mein Anspruch war von Berufs wegen hoch, meine Erwartungen wurden nicht erfüllt. Insgesamt hat der Selbstversuch mir die Erkenntnis gebracht, dass wir in einer KI-gecoachten Welt nicht daran vorbeikommen werden, auch die KI gut auszubilden und zwar von erfahrenen Profis mit fundierter Coaching-Ausbildung. Dann könnte ich mir für die Zukunft ein Hand in Hand arbeiten zwischen einem digitalen und menschlichen Coach durchaus gut vorstellen.

Die Magie der menschlichen Interaktion, die wahrhaftige zwischenmenschliche Verbindung, wird meines Erachtens jedoch immer bleiben, wenn es um »echtes und gesundes« Wachstum geht – auch in der Welt von morgen.

Stellv. Leitung Management Centrum Schloss Lautrach | Leitung Seminare
Christina Kral-Voigt

Stellv. Leitung MCSL | Leitung Seminare & Coaching
T +49 (0) 8394 910 415
seminare@mcsl.de