Ihr Trainer
Gerhard Herb
Selbständiger Managementberater, Trainer und Coach
Die Aufgaben der Führungskräfteentwicklung wandeln sich. Gestern ging es vor allem darum, Wissensprofile an die sich verändernden Anforderungen anzupassen. Heute gilt es, vermehrt Räume zu schaffen, in denen neben Wissen auch Können gefördert wird und in denen das Urteilen, Entscheiden und Handeln von Individuen und Teams regelmäßig reflektiert werden kann.
Führen findet heute unter deutlich veränderten Rahmenbedingungen statt. Unvorhersehbarkeit von Kunden- und Finanzmärkten, deutliche Zunahme der externen und damit auch internen Komplexität sowie eine starke Dynamisierung der technologischen, politischen, sozialen Umwelten von Unternehmen bringen Führungsherausforderungen hervor, die vor Kurzem noch nicht vorstellbar waren.
Die Folge sind neue, andere Anforderungen an Menschen mit Führungsverantwortung: Orientierung und Sicherheit in einem Kontext bieten, der von Unsicherheit, Komplexität und Dynamik geprägt ist. Im Vordergrund steht heute die Fähigkeit, mit Nichtwissen und mit Überraschungen umzugehen sowie Entscheidungen unter großer Unsicherheit zu treffen.
Damit rückt Wissen immer mehr in den Hintergrund und Können verstärkt in den Vordergrund. Die Unterscheidung zwischen Wissen und Können hat Dr. Gerhard Wohland in seinem Buch »Denkwerkzeuge für dynamische Märkte« hervorragend beschrieben. Seine Kernthese ist, dass in dynamischen Märkten Wissen wenig weiterhilft, da eine hohe Dynamik ein Umfeld schafft, »in dem häufiger mit Überraschungen umgegangen werden muss. Überraschungen konfrontieren mit historisch neuen Problemen, für deren Lösung noch kein Wissen vorhanden ist».1
Hier setzt das Können ein. Es ist im Gegensatz zu Wissen an Talent sowie an Übung gebunden. Die Krux dabei ist, dass Können, anders als Wissen, nicht einfach gelehrt werden kann (es bewirkt wenig, wenn ein Könner einem »Noch-nicht-Könner« erzählt, wie es geht), sondern Können entfaltet sich in der talentbasierten Übung. Lehrer können anregen, aber nicht einen »könnenden Zustand« herstellen.
Auch der systemische Berater und Professor für Führung und Organisation, Dr. Rudolf Wimmer, beschreibt in einem richtungsweisenden Artikel Führung als eine »voraussetzungsvolle Profession«, deren erfolgreiche Bewältigung heute einen »halbwegs angstfreien Umgang mit Nichtwissen, die Bearbeitung von Ungewissheit, den Verzicht auf schnelle logische Erklärungen basierend auf alten Vorgefasstheiten« benötigt.2
Was heißt das für eine zeitgemäße Führungskräfteentwicklung?
Wir sehen drei wesentliche Anforderungen. Zum einen gilt es auf personaler Ebene, die Fähigkeit zur (Selbst-)Beobachtung und (Selbst-)Reflexion gezielt (bewusst) zu stärken. In dynamischen, unsicheren und komplexen Märkten brauchen Führende die Fähigkeit zur laufenden Beobachtung der sich wandelnden Umgebungen und der Folgen des eigenen Führungshandelns. Nur wer alte Handlungsmuster und verfestigte Routinen loslassen kann, eigene blinde Flecke sehen lernt, sich eigener emotionaler Betroffenheit bewusst wird, kann die nötige Distanz zu den Gegebenheiten aufbringen, die das Entscheiden auch mit Nicht-Wissen möglich macht. Zugleich ist die Fähigkeit zur Reflexion Grundlage für persönliche Reifungsprozesse und den Zugang zur den heute so gebrauchten intuitiven Fähigkeiten.
Die Führungskräfteentwicklung muss diesen Veränderungen Rechnung tragen und sich nicht mehr zuvorderst als Institution zur Vermittlung von Führungswissen bzw. -technik sehen, sondern kommunikative Räume schaffen, in denen Führende »gefahrlos« ihr persönliches Führungshandeln reflektieren können.
Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass Organisationen eine Kultur des Füreinanders fördern. Hintergrund ist die inzwischen geteilte Vorstellung, dass die heutigen unternehmerischen Herausforderungen nicht mehr allein von noch so befähigten Führenden zu stemmen sind, sondern dass Führung immer mehr zu einer »organisationalen Fähigkeit«2 wird, die im Zusammenspiel aller mit Führung Betrauten erbracht wird.
Die Führungskräfteentwicklung muss daher organisationale Räume schaffen, in denen Management-Teams ihr gemeinschaftliches Handeln reflektieren können. In einem neuen Buch »Gemeinsame Spitze« sehen die Autoren die Fähigkeit zur »Reflektion in Aktion« als zentral für den Erfolg von Top-Management-Teams.3 Sie fordern eine »gemeinsame Praxis des offenen Dialogs im Top-Team, in dem das eigene Urteilen und Verhalten dem Team und dem Einzelnen bewusst gemacht werden, um konsequent gegenzusteuern«. Diese Praxis schafft eine Qualität gemeinschaftlichen Urteilens, Entscheidens und Handelns, die nötig ist, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.
Zudem hat die Führungskräfteentwicklung dafür zu sorgen, dass nicht nur die »Wissensprofile« der Führenden und Mitarbeiter den geänderten Anforderungen angepasst werden, sondern dass Talentförderung stattfindet, also Können gefördert wird. Talente zu fördern heißt, ihnen anspruchsvolle Aufgaben zu stellen, an denen sich spezifisches Talent | Können zeigen kann, denn »Talent wird erst bei Gebrauch sichtbar«. Ein Beispiele dafür sind sog. »Meister-Schüler-Verhältnisse«, die Könner ihres Fachs mit Talenten zusammenbringen, also innovative kommunikative Übungsräume schaffen, in denen Können sich entfalten kann.1
Das Management Centrum Schloss Lautrach hat sich seit seiner Eröffnung im Jahre 1993 dieser Idee von Führungskräfteentwicklung verschrieben und sieht seine Kernkompetenz darin, Lernräume für Führende zu gestalten, in denen persönliche Entwicklung mit Kompetenzentwicklung einhergeht. Dahinter steht ein Bildungsbegriff, der die Bildung von Menschen nicht nur als Wissensvermittlung versteht, sondern als Ausbildung und Entwicklung der ganzen Persönlichkeit.
Der ehemalige deutsche Papst, Benedikt XVI., hat diese Bildungsidee in einem Interview einmal folgendermaßen umschrieben: »Fortschritt kann nur Fortschritt sein, wenn er dem Menschen dient und wenn der Mensch selber wächst; wenn in ihm nicht nur das technische Können wächst, sondern auch seine moralische Potenz. Und ich denke, das eigentliche Problem unserer historischen Situation ist das Ungleichgewicht zwischen dem ungeheuren rapiden Anwachsen dessen, was wir technisch können, und unserem moralischen Vermögen, das nicht mit gewachsen ist. Und deswegen ist die Bildung des Menschen das eigentliche Rezept, der Schlüssel von allem, und das ist auch unser Weg. Und zwar hat diese Bildung kurz gesagt zwei Dimensionen: Zunächst einmal müssen wir natürlich etwas lernen: Wissen, Können erwerben, Know-how, wie man so schön sagt. Aber wir brauchen zwei Dimensionen, es muss die Bildung des Herzens, wenn ich’s so sagen darf, mit dazu kommen, durch die der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch seine Technik richtig gebrauchen lernt«.
Die Bildung des Herzens setzt die Fähigkeit zur Reflexion, zur Auseinandersetzung mit der eigenen Person voraus. Gelingende Reflexionsprozesse brauchen aber Vertrauensräume, die jenes Maß an Offenheit erzeugen, das nötig ist, um blinde Flecke auszuleuchten, persönliche Irritation zuzulassen und Tabus anzusprechen.
Diese Räume für Führende und Management-Teams zu schaffen, ist das Anliegen von Schloss Lautrach.
(1) Dr. Gerhard Wohland, Matthias Wiemeyer: Denkwerkzeuge für dynamische Märkte. Ein Wörterbuch. MV Verlag. Münster.2006
(2) Dr. Rudolf Wimmer: Führung und Organisation – zwei Seiten ein und derselben Medaille. Revue für postheroisches Management | Heft 4 (S. 20-33)
(3) Kai W. Dierke, Anke Houben: Gemeinsam Spitze. Wie Führung im Top-Team gelingt. Campus Verlag, Frankfurt, 2013.