Interview mit Claudia Hartmann: Resilienz als Trumpf im Leben

Warum ist die Corona-Zeit prädestiniert dafür, um sich mit Resilienz zu beschäftigen und sich für das nächste unvorbereitete Ereignis zu wappnen?
Resilienz ist DIE Krisenbewältigungskompetenz. Wer frühzeitig seine persönlichen Widerstandskräfte reflektiert und stärkt, kommt ganz sicher leichter durch jede Form von Krise.

Was zeichnet eigentlich einen resilienten Menschen aus?
Resilienz ist die sog. »Stehaufmännchen«-Qualität. Jeder kennt so einen Menschen, der sich durch nichts unterkriegen lässt, in jedem Schicksalsschlag noch etwas Gutes findet, sich den Lebensmut nicht nehmen lässt und sogar in besonders heftigen Veränderungsprozessen über sich hinauswächst.

Schützt Resilienzfähigkeit einen Menschen gegen alle Arten von Krisen?
Ein Schutz vor Krisen gibt es aus meiner Sicht nie zu 100%. Der Charakter einer Krise, wie der von Covid-19, ist ja, dass sie unvorhergesehen, plötzlich und mit vielen Unbekannten über uns alle hereinbrach. Das bedeutet erst mal Kontrollverlust auf vielen Ebenen. Jeder Mensch geht ein wenig anders mit solchen Ausnahmesituationen um. Wir sind eben Individuen. Resiliente Menschen erleben solche Krisen aber als viel weniger bedrohlich. Sie können sich schneller und leichter auf die neue Situation einstellen und bleiben deshalb handlungsfähig. Immer mit dem Blick auf mögliche Lösungen und eine positive Zukunft gerichtet.

Ist Resilienz eigentlich eine Frage des Alters?
Lebenserfahrung und bereits überstandene Krisen tragen sicher zu einer ausgeprägteren Resilienz bei. Vorausgesetzt wir reflektieren zumindest im Nachhinein, welche Kraft uns durch die brenzlige Situation gebracht hat und machen uns bewusst, was hinderlich war. So können wir präventiv die eher schwachen Resilienzfaktoren stärken. Diese Ressourcen stehen uns dann für immer zur Verfügung. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass junge Menschen nicht resilient sein können. Wir alle hatten meist schon in der Kindheit einschneidende Erlebnisse. Diese prägen genauso wie die Erziehung unsere innere Haltung. Wir trainieren sozusagen mit jedem dieser krisenhaften Ereignisse unser seelisches und mentales Immunsystem.

Haben Männer und Frauen einen unterschiedlichen Zugang zur Resilienz-Erarbeitung bzw. unterschiedliche Resilienz-Kompetenzen?
In der Resilienzforschung haben sich 7 Faktoren herauskristallisiert, die einen Menschen besonders widerstandsfähig machen. Das ist die Kompetenz, eine massive Veränderung, eine Krise oder ein einschneidendes Erlebnis

  • rasch zu akzeptieren und damit nicht in Widerstand damit zu gehen
  • mit einer optimistischen Grundhaltung der Veränderung zu begegnen
  • in die eigene Selbstwirksamkeit zu vertrauen
  • Verantwortung für die neue Situation zu übernehmen
  • netzwerkorientiert Hilfe von außen zuzulassen
  • lösungsorientiert statt problemfokussiert ins Handeln zu kommen
    und schließlich
  • sich vorwärts gewandt an der Zukunft zu orientieren.

Die Ausprägung der einzelnen Resilienzfaktoren sind weniger geschlechtsspezifisch als persönlichkeitsabhängig. Wenn gleich man Männern eine eher höhere Lösungsorientierung zuspricht und Frauen meist die besseren Netzwerkkompetenzen. Im Zuge der Emanzipation gleichen sich die Geschlechter jedoch immer mehr an.

Ist resilient sein nicht auch eine Zuschreibung von außen oder mehr eine Beobachtung über sich selbst?
Egal, was andere von außen beobachten, die eigene Wahrnehmung entscheidet letztlich, wie ich mit einer Situation umgehe. Wenn mir andere zutrauen, mit einer Krise gut fertig zu werden, mir selbst die Überzeugung meiner Selbstwirksamkeit aber fehlt, wird sich das auf mein Handeln auswirken.

Stumpft man mit zu viel Widerstandsfähigkeit vielleicht sogar etwas ab? Wird man weniger mitfühlend und womöglich sogar etwas egoistischer?
Ein Zuviel an Widerstandsfähigkeit kann es wohl kaum geben. Von abstumpfen, weniger mitfühlend und größerem Egoismus würde ich da auf keinen Fall sprechen. Vielmehr von erhöhter Aufmerksamkeit mir selbst und anderen gegenüber. Von Möglichkeiten adäquat auf Ausnahmesituationen zu reagieren. Und wenn wir selbst ruhig und besonnen durch Krisensituationen gehen, sind wir auch für andere oft der Fels in der Brandung. Wir sind ja nicht permanent im Krisenmodus. Die Resilienzfaktoren stehen uns vielmehr als Ressource zu Verfügung. Sozusagen als Trumpf, wenn uns das Leben widrige Umstände präsentiert.

Führungskräfte und Fachexperten sollen mental resilient sein und werden oftmals in Seminare »geschickt«. Wie kann man sich diese resiliente Fähigkeit von heute auf morgen aneignen? Können Sie einige Beispiele aus Ihrer Trainingserfahrung nennen, wie das methodisch möglich ist?
Optimal wäre es natürlich, wenn Fach- und Führungskräfte sich nicht »schicken« ließen, sondern selbst offen und initiativ so eine Fortbildung wählten. Eine gute Resilienz aufzubauen ist ein dynamischer Prozess. Am Anfang steht immer die Selbstreflexion, das Bewusstwerden der eigenen Handlungsmuster und Glaubenssätze. Gleichzeitig anzuerkennen, welche Ressourcen aufgrund von bereits gemeisterten Krisen und Veränderungen bereits vorhanden sind. Dann gilt es achtsam und gezielt die eigenen Defizite anzunehmen und bewusst daran zu arbeiten. Hierfür gibt es Methoden und Techniken, die zu größerer persönlicher Resilienz führen. Das gelingt niemals von heute auf morgen. Persönlichkeitsentwicklung ist immer ein längerfristiger Prozess. Eine Investition, die sich sowohl für den Mitarbeitenden als auch für das Unternehmen lohnt. Für eine nachhaltige Umsetzung und den ROI für’s Unternehmen sind allerdings resiliente Organisationsstrukturen Voraussetzung.

Wie kann eine Organisation ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeitende eine Resilienz-fördernde Arbeitskultur vorfinden?
Es gibt eine ISO Norm (22136), die 9 Organisationale Resilienzfaktoren beschreibt. Im Wesentlichen sind das menschenorientierte Organisationsstrukturen, die die Grundlage schaffen, dass Menschen im Arbeitsprozess auch unter hohem Druck und bei ständigem Change langfristig psychisch, mental und physisch gesund bleiben.

Sollte in Stellenanzeigen künftig die Anforderung »Resilienz« stehen? Und wie könnte diese in einem Einstellungsgespräch festgestellt werden?
Ich fürchte, dass der Begriff noch nicht so in der breiten Bevölkerung angekommen ist, dass alle verstehen, um was es dem zukünftigen Arbeitgeber geht. Im Sinne von Employer Branding Personalmarketing-Maßnahmen ist es sicher zukunftsweisend salutogene-, das heißt gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen für eine resiliente Kultur im Unternehmen zu schaffen. Und zwar über das gesetzliche Mindestmaß durch die regelmäßige Psychische Gefährdungsbeurteilung hinaus. Hierzu braucht es ein gut etabliertes Betriebliches Gesundheitsmanagement und nicht nur die Pseudo-Obstschale und den Wasserspender.

Wir stehen gerade erst am Anfang der Digitalisierung. In die Zukunft gedacht, wird also Beschleunigung, Komplexität und permanente Veränderung unser neues »Normal«. Menschen müssen diesen Quantensprung mitgehen können. Ob Bewerber die Voraussetzungen mitbringen, kann ein erfahrener Recruiter sicher durch gezielte Fragen einkreisen. Auch Persönlichkeitstests nach amerikanischem Vorbild sind denkbar. Letztlich ist allerdings wichtig herauszufinden, ob Bewerber über die fachliche Qualifikation hinaus zum Unternehmen, der Kultur und dem Umgang mit Veränderungen darin, passen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Interviewfragen: Christina Kral-Voigt, Leitung Seminare I Seminarberatung

Claudia Hartmann | Trainerin MCSL

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Claudia Hartmann
Selbstständige Trainerin und Coach

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