Interview mit Wolfgang Wirth: Systemische Organisationsberatung – Auf dem Weg zur reifen Organisation im 21. Jahrhundert


Was kennzeichnet eine reife Organisation?
Organisationen werden in der heutigen Systemtheorie als lebensfähige Systeme betrachtet, die durch die Interaktion der Menschen in der Organisation in ihrem höchsten Reifegrad zur Selbstgestaltung, Selbstreflexion und Selbstorganisation fähig sind, um das Wachstum und die Überlebensfähigkeit ihrer Organisation zu sichern. Von daher können sich Organisationen nur in dem Maße weiterentwickeln, wie die in ihr tätigen Menschen.

Wie ist der Weg zu einer reifen Organisation?
Alles Leben beginnt mit der »Geburt« bzw. Gründung einer Organisation. Letztendlich steht immer eine »schöpferische Tat« eines oder mehrerer tatkräftiger Unternehmer im Vordergrund. Im Zuge der Gründung bildet sich um die Person des Gründers, mitunter auch im Netzwerk, eine Art »Familie«. Der Gründer steuert in dieser Konstellation mit seinen »Pionieren« durchaus für eine gewisse Zeit souverän und pragmatisch die Geschicke des Unternehmens. Von daher wird diese erste Entwicklungsphase auch gerne Pionierphase genannt.
Mit zunehmender Unternehmensgröße entstehen an verschiedenen Stellen innerhalb der Organisation, die mit dem Erfolg des Unternehmens nicht Mitwachsen, wie z.B. Buchhaltung, Einkauf, Logistik, Qualitätssicherung sogenannte Wachstumsschmerzen, die sich zumeist in aufreibenden Ressourcen-/Verteilungskonflikten manifestieren. Im Zuge dieser Differenzierungsphase (Adoleszenz) wird in der Organisation der Ruf nach Selbstbestimmung, Ordnung und neuen Strukturen laut und es stellen sich Fragen zur Standardisierung, Spezialisierung, Koordinierung und Formalisierung. Während beim Gründer die wirtschaftliche Leistung seines Unternehmens im Vordergrund steht und er aus der Organisation so wenig wie möglich Schwierigkeiten haben will, rückt von nun ab die Organisationsentwicklung verstärkt in den Vordergrund.
Ab diesem Zeitpunkt ist es erforderlich, die Unternehmensstrategie, Kommunikationswege und Arbeitsprozesse in der Organisation zu vergemeinschaften, um Sinn und Nutzen des Tuns in die Mannschaft zu integrieren (sog. Integrationsphase). Auch jeder noch so fähige Unternehmer stößt irgendwann an die Grenzen seiner Handlungs- und Steuerungsfähigkeit, denn die immer schneller folgenden Veränderungen im technischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich können mit der Statik der Differenzierungsphase nicht mehr bewältigt werden. Durch diesen Übergang von der Differenzierungsphase zur Integrationsphase werden nicht nur Führung und Organisation grundlegend gewandelt, sondern die an diesem Prozess aktiv beteiligten Menschen erwerben dabei gleichzeitig die Fähigkeit, ihre Organisation auch künftig auf die neuen Anforderungen des Marktes abzustimmen.

Welche Prinzipien der Organisationsentwicklung halten Sie für wichtig?
Eine der wesentlichen Maxime für die Organisationsentwicklung ist die grundsätzliche Arbeitshaltung, »Betroffene zu Beteiligten zu machen«. Ein gemeinsamer Reifeprozess kann nur gelingen, wenn alle Mitarbeiter und Führungskräfte situativ in die Veränderungsvorhaben mit eingebunden werden und auch sich eingebunden fühlen. Denn Reife wirkt ansteckend. Ein Mitarbeiter, der reife Kollegen, Führungskräfte oder Unternehmer kennenlernen darf, hat somit die Chance, auch selber in diese Richtung »gelockt« zu werden. Darüber hinaus sollten neben neuen Prozessen und Aufgaben von Zeit zu Zeit auch Fragestellungen zugelassen werden, wozu wir etwas tun oder unterlassen, was wir in dieser Organisation bewirken und wofür wir Verantwortung übernehmen wollen. Diese allumfassende Entwicklungsarbeit bietet nicht nur vielfältige Lernchancen zur Selbsterneuerung für die Organisation an sich, sondern auch für ihre Kunden und Lieferanten. Somit ist eine Veränderung kein einmaliges Veränderungsvorhaben, sondern als kontinuierlicher Prozess zu organisieren und muss in das Führungsverständnis mit einfließen.

Was kann Organisationsberatung in diesem Kontext leisten?
Eine systemische Organisationsberatung legt den Reifeprozess als einen umfassenden Lern- und Entwicklungsprozess an. Angefangen von entwicklungsdiagnostischen Organisationsanalysen zum Reifegrad von Organisationen und Organisationsteilen, über die Verifizierung der Unternehmens-strategie, die Entwicklung von alternativen Organisationsdesigns, die Ausgestaltung von neuen Organisationsstrukturen und Geschäftsprozessen, die Organisation von Lernprozessen, bis hin zur Begleitung | Unterstützung von Teams in der selbstständigen Lösungsfindung und in der Kooperation mit anderen Teams.

Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Christina Kral-Voigt, Leitung Seminare I Seminarberatung


Auf Grundlage von:
Friedrich Glasl u.a. (Hrsg.) Professionelle Prozessberatung.
Das Trigon-Modell der sieben OE-Basisprozesse. Haupt Verlag AG. Bern. 2014
Glasl I Lievegoed: Dynamische Unternehmensentwicklung. Haupt Verlag AG. Bern. 2016

MCSL | Wolfgang Wirth

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Wolfgang Wirth
Leitung Beratung | Firmenprogramme

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